Was verbindet Hunde und Menschen? Mit Blick auf diese Frage untersuchen Prof. Dr. Kurt Kotrschal und seine Mitarbeiter das Verhalten von Hunden und Wölfen an der Forschungsstation Ernstbrunn bei Wien. In seinem angenehm lesbaren, allgemeinverständlichen Buch «Hund und Mensch – Das Geheimnis unserer Seelenverwandtschaft» spürt Kotrschal wissenschaftlich und persönlich der erstaunlichen Harmonie von Hunden und Menschen nach, immer wieder auch im Vergleich mit den wilden Vorfahren, den Wölfen.
Eine der ersten Untersuchungen des Wissenschaftlers: Was bewirkt ein Hund im Klassenzimmer? Man mag erst mal meinen, Hunde seien doch nun wirklich nichts für die Schule. Ist es nicht plausibel, dass ein Hund nur vom Unterricht ablenkt und Unruhe bringt? Dass die unaufmerksamen Kinder noch unaufmerksamer werden und die Leistung beeinträchtigt wird? Kotrschal und seine Mitarbeiter fanden aber ganz anderes. Ihre Methode: Anhand von Videoaufzeichnungen verglichen sie das Geschehen in einer Grundschulklasse in Ab- und Anwesenheit eines trainierten Therapiehundes jeweils über mehrere Wochen. Ebenso analysierten Psychologen Persönlichkeit und Verhalten von Kindern in Ab- und Anwesenheit des Hundes. Die erstaundlichen Ergebnisse: Nur mit Hund gab es feststellbare Fortschritte in der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder. In Anwesenheit des Hundes nahmen aggressive Kinder sich deutlich zurück, während scheue aktiver wurden und mehr Kontakt zu anderen Kindern suchten. In der Klasse mit Hund sanken sogar die Fehlzeiten stark. Gingen die Kinder vielleicht lieber zur Schule, wenn es dort einen Hund gab?
Weitere Experimente bestätigten diese frühen Ergebnisse. «Tiergestützte Pädagogik» wird immer attraktiver. Auch kurzzeitige Kontakte mit Hunden oder anderen Tieren können positiv wirken, doch bleibt anscheinend wenig Nachwirkung: «Wir denken heute, dass Tiere besonders wirksam und nachhaltig günstig das Sozialverhalten von Kindern beeinflussen, wenn sie lange anwesend sind.»
Warum lieben Menschen Hunde?
Wie erklärt sich unsere Zuneigung zu Hunden und überhaupt zu Geschöpfen anderer Arten? Der «Biophilie-Hypothese» des Biologen Edward O. Wilson zufolge haben wir Menschen evolutionär eine Liebe zu allem Lebendigen und überhaupt zur Natur durch lange Verbundenheit mit anderen Lebewesen erworben. Kotrschal setzt direkt beim Erleben an: Hunde fügen sich recht menschenähnlich in unser Sozialleben ein. Selbst die Hirnprozesse für soziales Empfinden und Verhalten sind bei Hunden und Menschen ähnlich. Mit Hunden lässt sich auf vergleichsweise unkomplizierte Weise harmonisch und im Gefühl wechselseitiger Fürsorge zusammenleben. Mit Hunden pflegen wir letztlich, wie Kotrschal es ausdrückt, eine «Partnerschaft light».
Doch das «light» bedeutet keineswegs, dass wir Hunden gegenüber kaum Verpflichtungen hätten. So brauchen Hunde viel Fürsorglichkeit, um physisch und psychisch zu gedeihen. In einem Bindungstest mit Menschen und deren Hunden fanden Kotrschal und Mitarbeiter: Die Tiere zeigten sich «sicher» (62 %), «unsicher» (24 %) oder sogar «desorganisiert» (14 %) an ihren Halter gebunden. In einem weiteren Test zeigte sich: Menschen mit sicher gebundenen Hunden unterstützten die Tiere emotional, während Menschen mit unsicher gebundenen Hunden dies kaum taten. Kotrschal vermutet deshalb: Es sind die einfühlsam und verlässlich betreuten Hunde, die eine sichere Bindung entwickeln, während psychisch vernachlässigte Hunde sich in der Beziehung zum Menschen unsicher oder desorganisiert verhalten.
Solche Tests zeigen bemerkenswerte Parallelen zu Untersuchungen mit Menschen. Auch bei Kindern entscheidet die Qualität der emotionalen Betreuung, ob sie einen sicheren, unsicheren oder desorganisierten Bindungsstil erwerben. Gleichwohl binden sich Kotrschal zufolge Hunde etwas anders als Menschen. So scheint ihm auch ohne systematische Untersuchungen aufgrund seiner Erfahrung deutlich: Sich um Welpen emotional nicht zu kümmern, hat weniger gravierende Folgen im späteren Leben als die Vernachlässigung von Kindern. Die Bindungsstile von Hunden bleiben vergleichsweise offen, sodass sie sich an einen neuen Halter meist recht gut anpassen können.
Wie der Herr, so’s Gescherr
Überhaupt scheint viel Wahres an der verbreiteten Überzeugung zu sein, dass Hunde sich stark auf Persönlichkeit sowie die momentane Gemütslage von Menschen einstellen und sich von deren Befinden anstecken lassen. Ist beispielsweise der Mensch beim gemeinsamen Spiel eher kontrollierend, finden sich beim Tier erhöhte Werte des Stresshormons Kortisol. Ist er unbefangen und kameradschaftlich, entspannt sich auch der Hund. Hunde spiegeln die Eigenschaften ihrer Halter im Guten und Schlechten. «Böse» Hunde zeigen einer Studie zufolge zuverlässig die Feindseligkeit und antisoziale Einstellung ihrer Halter an. Trotz des Spiegelns haben Hunde selbstverständlich individuell ausgeprägte Wesensmerkmale. So scheint es einer Studie an Polizeihunden zufolge wenig vom Betreuer abzuhängen, ob Hunde auf Bedrohungen eher forsch oder eher scheu reagieren, wenn auch ein sicherer Führungsstil die Selbstsicherheit des Hundes durchaus stärken kann.
Hunde schauen Menschen intensiv in die Augen. Studien zur Blickrichtung bewiesen, dass sie dabei tatsächlich in die Augen sehen und nicht irgendwo ins Gesicht. Wie bei verliebten Zweibeinern liessen sich beim versunkenen Auge-in-Auge bei Menschen und Hunden erhöhte Werte des Glücks- und Bindungshormons Oxytocin sowie verringerte Werte des Stresshormons Kortisol nachweisen. Wölfe meiden solchen Augenkontakt eher, vielleicht auch, weil ranghöhere Wölfe diesen oft als Anstarren interpretieren. Selbst von Menschen per Flasche aufgezogene Wölfe blicken diese kaum direkt an. Die Fähigkeit und Lust am Augenkontakt scheint somit eine hundespezifische Anpassung an uns Menschen zu sein. (…)